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Die unsichtbare Wahlsaison: Wie Parteien bereits jetzt die Weichen für die Kommunalwahlen stellen

  • andreadibiase
  • 27. Juli
  • 5 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 30. Juli


Während Schulkinder ihre Sommerferien geniessen und die politische Berichterstattung sich anderen Themen widmet, laufen in den Parteizentralen und Ortsgruppen der Schweiz bereits die Vorbereitungen für die nächsten Kommunalwahlen auf Hochtouren. Was der Öffentlichkeit noch verborgen bleibt, ist ein komplexes Räderwerk aus strategischen Überlegungen, persönlichen Ambitionen und parteiinternen Machtkämpfen.


Die Rekrutierung von Kandidierenden beginnt oft schon ein Jahr vor den eigentlichen Wahlen. Parteien durchforsten systematisch ihre Mitgliederlisten nach geeigneten Persönlichkeiten, sprechen langjährige Sympathisanten an oder versuchen, prominente Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Kultur oder Sport für eine Kandidatur zu gewinnen. Dabei spielen nicht nur fachliche Qualifikationen eine Rolle, sondern auch die "Wählbarkeit" - das richtige Alter, Geschlecht, beruflicher Hintergrund und die regionale Verwurzelung.


Die unterschätzte Herausforderung: Kommunikation


Was viele Parteien dabei übersehen, ist die zentrale Bedeutung der Kommunikation. In einer Zeit, in der sich Informationskanäle rasant wandeln und die Aufmerksamkeitsspanne der Bürgerinnen und Bürger immer kürzer wird, entscheidet oft nicht der beste Kandidat oder das überzeugendste Programm über den Wahlerfolg, sondern die Fähigkeit, Inhalte verständlich und zielgruppengerecht zu vermitteln.


Doch genau hier offenbaren viele Ortsparteien erhebliche Defizite. Während sie sich intensiv mit inhaltlichen Fragen beschäftigen, fehlt ihnen oft das Know-how für moderne politische Kommunikation. Der Vereinsvorstand, der seit Jahren Medienmitteilungen im gleichen Stil verfasst, die Kassiererin, die sich an Social Media versucht, oder der Parteipräsident, der bei Podiumsdiskussionen ins Schwimmen gerät - sie alle meinen es gut, aber erreichen ihre Zielgruppen nicht mehr.


Die Realität hinter den Wunschvorstellungen (der Parteien)


Doch die Theorie der sorgfältigen Kandidatenauswahl entspricht oft nicht der Realität. Besonders in kleineren Gemeinden wie Pfäffikon stehen Parteien häufig vor einem ganz anderen Problem: dem Mangel an Kandidierenden. Die strategischen Überlegungen über ideale Profile weichen dann schnell der Erleichterung, wenn sich überhaupt jemand bereit erklärt zu kandidieren.


"Wir würden gerne eine ausgewogene Liste mit verschiedenen Kompetenzen zusammenstellen", hört man oft in Parteisitzungen. Doch wenn der erhoffte Unternehmer absagt, die angesprochene Lehrerin keine Zeit hat und der Vereinspräsident bereits anderweitig politisch engagiert ist, sind Parteien oft froh, wenn sich ein politischer Newcomer kurzfristig überreden lässt. Manchmal geschieht dies erst wenige Wochen vor Anmeldeschluss, wenn klar wird, dass die Liste sonst nicht vollständig wird.


Diese Problematik ist bei allen Parteien ein wiederkehrendes Thema. Gerade in der Freisinnigen Partei, wo traditionell Unternehmer, Selbstständige und wirtschaftsnahe Persönlichkeiten politisch aktiv waren, wird die Kandidatensuche immer schwieriger. Die beruflichen Verpflichtungen nehmen zu, während gleichzeitig die Bereitschaft sinkt, sich kommunalpolitisch zu engagieren. Dies zeigt sich nicht nur in urbanen Zentren, sondern auch in kleineren Gemeinden der Region.


In Pfäffikon kommt erschwerend hinzu, dass es keine Listenplätze gibt, die strategisch verteilt werden könnten. Das Majorzwahlsystem bedeutet, dass jeder Kandidierende für sich allein kämpft. Dies verändert die parteiinternen Dynamiken grundlegend: Statt um Listenplätze zu ringen, müssen Parteien ihre Kandidierenden darauf vorbereiten, als Einzelpersönlichkeiten zu überzeugen.


Die zentrale Aufgabe der Parteien: Information und Sensibilisierung


Dabei wird oft übersehen, welche eigentliche Aufgabe Parteien in der Kommunalpolitik haben sollten: über die Behördentätigkeit zu informieren und die Bevölkerung für lokale Themen zu sensibilisieren. Parteien sind die Brücke zwischen der oft komplexen Behördenarbeit und der Öffentlichkeit. Sie sollten übersetzen, erklären und vermitteln, was in den Exekutivgremien entschieden wird und warum. ➡️ Siehe auch meinen Blog zum Thema Brückenbauen.


Doch genau hier zeigt sich das Kommunikationsdefizit besonders deutlich. Komplexe Sachverhalte werden in Fachjargon verpackt, wichtige Entscheide in langatmigen Medienmitteilungen versteckt, und die Relevanz für die Bürgerinnen und Bürger bleibt unklar. Statt Menschen zu informieren und zu mobilisieren, schaffen Parteien oft Verwirrung oder Desinteresse.


Die Folge: Behördenentscheide werden instrumentalisiert oder parteipolitisch eingefärbt dargestellt. Die Informationsarbeit weicht der Profilierung, die Sensibilisierung dem Wahlkampf. Was eigentlich aufklären sollte, wird zum Nebel, der die Sicht auf die eigentlichen Probleme verstellt.

Schachbrett symbolisch Kommunalwahlen
Schachbrett symbolisch Kommunalwahlen

Behördenmitglieder als strategische Assets (der Parteien)


Für Ortsparteien sind ihre Behördenmitglieder die wertvollsten Assets. Sie sind die Gesichter der Partei, die sichtbaren Vertreter politischer Überzeugungen und gleichzeitig die Informationsquellen aus erster Hand. Ein Gemeinderat oder eine Schulpflegerin kann der Partei Glaubwürdigkeit und Kompetenz verleihen - oder bei Fehlentscheiden auch erheblich schaden.


Diese Beziehung ist jedoch fragil und erfordert ständige Pflege. Behördenmitglieder erwarten von ihrer Partei Unterstützung, sei es in Form von Wahlkampfhilfe, fachlichem Austausch oder Rückendeckung bei schwierigen Entscheiden. Im Gegenzug sollen sie die Parteilinie vertreten und der Organisation Zugang zu wichtigen Informationen verschaffen.


Das komplexe Spiel zwischen Nehmen und Geben


Hier entsteht ein Spannungsfeld, das oft unterschätzt wird. Behördenmitglieder sind in erster Linie dem Gemeinwohl verpflichtet, nicht der Partei. Gleichzeitig sind sie auf die Unterstützung ihrer politischen "Familie" angewiesen. Diese Balance zu halten, erfordert von beiden Seiten Fingerspitzengefühl und Respekt vor den jeweiligen Rollen - und vor allem eine Kommunikation, die diese Nuancen vermitteln kann.


Aus freisinniger Perspektive ist diese Spannung besonders ausgeprägt. Die FDP-Grundsätze der Eigenverantwortung und unternehmerischen Freiheit gelten auch für Behördenmitglieder - sie sollen zwar parteilich verankert sein, aber dennoch unabhängig und sachbezogen entscheiden können. Diese Gratwanderung zwischen Parteitreue und Sachpolitik gelingt nicht immer, wie ich aus diverses überparteilichen und -regionalen Diskussionen weiss.


Die Befreiung durch lokale Parteilosigkeit in den Kommunalwahlen


Gerade diese Erfahrung zeigt mir den Wert einer anderen Herangehensweise auf: Als lokal Parteilose, aber dennoch Mitglied der FDP Kanton Zürich, ermöglicht sich mir eine einzigartige Position. Diese Konstellation schafft die Freiheit, offen über Parteipolitik zu sprechen, ohne in lokale Machtkämpfe verstrickt zu sein. Meine Wählerschaft weiss, dass meine politische Grundhaltung bürgerlich geprägt ist, doch gleichzeitig kann ich ohne den konstanten Druck lokaler Parteiinteressen arbeiten.


Diese lokale Unabhängigkeit bei gleichzeitiger ideologischer Verankerung erweist sich als befreiend. Ich kann Entscheide rein sachbezogen fällen, ohne ständig abwägen zu müssen, wie sie bei der nächsten Parteiversammlung ankommen. Es entsteht Raum für pragmatische Lösungen, die über Parteigrenzen hinweg Sinn machen. Die Authentizität in meiner politischen Arbeit steigt, weil der Zwang zur Parteikonformität wegfällt.


Wenn Wahlkampf die Sachpolitik überlagert


Was in der Öffentlichkeit noch nicht wahrgenommen wird, macht sich in den Behörden bereits deutlich bemerkbar. Als Schulpflegerin erlebe ich hautnah, wie die nahenden Wahlen schon jetzt die Entscheidungsfindung beeinflussen - und zwar nicht zum Positiven. Beschlüsse, die eigentlich sachlich und im Interesse der Gemeinde gefällt werden sollten, werden plötzlich durch parteipolitische Überlegungen überlagert.


Ein konkretes Beispiel: Bei der Diskussion um ein neues Schulhausprojekt geht es nicht mehr primär um pädagogische Konzepte oder Kosteneffizienz, sondern darum, welche Partei sich später als Verfechterin guter Bildungspolitik profilieren kann. Entscheide werden suboptimal gefällt, weil sie bereits mit Blick auf die Wahlkampagne getroffen werden. Das ist nicht nur schade, sondern schadet letztendlich der Qualität der Kommunalpolitik.


Vom Gemeinwohl zum Parteiinteresse


Früher, als es noch eine echte Auswahl an qualifizierten Kandidierenden gab, schien die Sachpolitik im Vordergrund zu stehen. Heute dominiert oft ein einziges Ziel: die eigenen Leute in die Behörden zu bringen. Parteien werden zu Ego-Maschinen, die primär ihre Macht zu erhalten oder auszubauen suchen, statt die besten Lösungen für die Gemeinde zu finden.


Aus bürgerlich-progressiver Sicht ist diese Entwicklung besonders bedenklich. Gerade in einer Zeit, wo Gemeinden vor komplexen Herausforderungen stehen - von der Energiewende über die Digitalisierung bis hin zu demografischen Veränderungen - bräuchte es kompetente, visionäre und unabhängig denkende Behördenmitglieder. Stattdessen erleben wir eine Politisierung, die Innovation und pragmatische Lösungen hemmt.


Wenn Idealvorstellungen auf Realität treffen


Diese Situation führt zu interessanten Konstellationen. Oft sind es gerade die politischen Newcomer, die mit frischem Blick und unkonventionellen Ideen überraschen. Was als Notlösung beginnt, kann sich als Glücksfall erweisen. Gleichzeitig bedeutet es aber auch, dass manche Kandidierenden mit wenig Vorbereitung ins kalte Wasser springen müssen - und dabei oft auch kommunikativ überfordert sind.


Als Behördenmitglied weiss ich besonders gut, wie wichtig es ist, diese Prozesse zu verstehen. Bildungspolitik wird massgeblich auf kommunaler Ebene gestaltet, und die Behördenentscheide prägen die Zukunft unserer Schulen. Die Kandidierenden, die jetzt bereits rekrutiert werden - oder eben kurzfristig gefunden werden müssen - werden in wenigen Monaten über Schulbudgets, Infrastrukturinvestitionen und pädagogische Schwerpunkte entscheiden.


Für interessierte Bürgerinnen und Bürger lohnt es sich daher, bereits jetzt aufmerksam zu verfolgen, wer sich in den Startlöchern befindet. Oft kann man durch Teilnahme an Parteiversammlungen oder durch persönliche Gespräche schon früh Einfluss auf die Kandidatenauswahl nehmen - lange bevor die eigentliche Wahlkampagne beginnt und die Medien ihre Aufmerksamkeit wieder der Kommunalpolitik zuwenden. Vielleicht ist es an der Zeit, dass sich mehr Menschen fragen: Wollen wir Parteisoldaten oder echte Problemlöser in unseren Behörden? Und: Wie können wir sicherstellen, dass diese auch fähig sind, ihre Arbeit verständlich zu kommunizieren? Spannende Fragen 🤔...

1 Kommentar

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Gast
31. Juli

Einmal mehr - vortrefflich geschrieben und auf den Punkt gebracht. Danke Andrea, ich lese deine Blogs sehr gerne.

P. aus Pfäffikon

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